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Über Berg und Tal zum selbstbestimmten Leben: Mut  und Motivation eines Jugendlichen aus Nepal

„Ich heiße Dinesh, bin jetzt fast 15 Jahre alt und komme aus einem der abgelegenen Bergdörfer in Mugu, Nepal. In meiner Familie sind wir zu sechst: mein Vater, meine Mutter, meine drei jüngeren Brüder und ich.

Als ich sieben Jahre alt war, bin ich vom Dach unseres Hauses gefallen und habe mir dabei den rechten Arm gebrochen. Da es in unserer Bergregion keine ausreichende medizinische Versorgung gab, infizierte sich die Wunde. Es wurde immer schlimmer, schließlich bekam ich Fieber und die Wunde begann schon, unangenehm zu riechen. Da brachte mich mein Vater in einem anstrengenden Tagesmarsch über Bergpfade zum einzigen Krankenhaus in Mugu. Dort konnte man aber nichts für mich tun und schickte uns zum Hospital im Nachbarbezirk Jumla. Das bedeutete: Noch einmal zwei Tage zu Fuß durch die Berge. Ich wurde dann einen Monat lang in Jumla behandelt, aber leider erfolglos – die Wunde heilte einfach nicht.

Also brachte mich mein Vater in ein drittes Krankenhaus, in die von Jumla aus 350 Kilometer entfernte Stadt Nepalgunj im Tiefland. Als wir nach 15 Stunden Busfahrt dort ankamen, wurde ich gleich untersucht. Und dann sagten mir die Ärzte, dass mein Arm von der Schulter ab amputiert werden müsse, da sich die Infektion sonst im ganzen Körper ausbreiten würde. Es war ein Albtraum für mich, ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich das hörte. Aber es war die einzige Möglichkeit, mein Leben zu retten. Also wurde mein Arm amputiert. Danach dauerte es noch fast zehn Monate, bis der Stumpf abgeheilt war.

Voller Mut und Entschlossenheit – vom Bergdorf zum Großstadtleben

Im Krankenhaus habe ich Menschen kennengelernt, denen es ähnlich ging wie mir. Das hat mir den Mut gegeben, ein normales Leben zu führen. Die Geschichten von Menschen mit Behinderung, die ihre Lebensziele erreicht haben, waren für mich eine große Motivation. Als ich zurück in meinem Dorf in Mugu war, bin ich also trotz eines verpassten Schuljahrs weiter in die Schule gegangen. Und ich strengte mich mehr an als je zuvor.

Dann erfuhr ich, dass mich Back to Life für eine Förderung ausgewählt hat und ich in Kathmandu zur Schule gehen konnte. Das war eine wunderbare Nachricht, ich konnte es kaum glauben. Bald darauf kam das Team von Back to Life zu mir nach Hause und sagte, dass wir mit dem Flugzeug nach Kathmandu reisen würden. Ich war total aufgeregt, bis dahin hatte ich noch nie ein Flugzeug gesehen! Noch mehr freute ich mich aber darüber, eine gute Schule in der Hauptstadt Kathmandu besuchen zu können.

Im August 2021 kam ich gemeinsam mit dem Back to Life-Team dort an. Ich wurde in einem Hostel (betreutes Wohnheim) für Kinder und Jugendliche untergebracht und in einer sehr guten Schule angemeldet. Gleich am nächsten Tag begann für mich der Unterricht.

Seither bin ich wirklich froh und gebe mein Bestes, um gute Noten zu bekommen. Denn nach dem Verlust meines rechten Arms sehe ich ganz klar ein Ziel vor mir: In der Zukunft möchte ich mich für Menschen einsetzen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie ich.

Früher und heute – die Gegenwart gefällt mir und auf die Zukunft freue ich mich.

Meine Eltern haben sich große Sorgen um meine Zukunft und meine Ausbildung gemacht und, ehrlich gesagt, ich auch. Aber jetzt bin ich glücklich und freue mich auf das, was kommt.

Als ich noch in meiner Dorfschule war, gab es etwas, das mich sehr verletzt hat: Immer wieder wurde ich wegen meiner Behinderung gemobbt und beim Lernen und Spielen gehänselt. Hier in Kathmandu ist das anders. Alle schätzen mich, kümmern sich um mich und motivieren mich. In meinem Hostel leben weitere Jugendliche und Kinder und ich habe viele gute Freunde gefunden.

Eines allerdings war in Mugu einfacher: In der staatlichen Gemeinschaftsschule waren die Lehrbücher in Nepali. Hier in Kathmandu besuche ich aber eine private englischsprachige Schule. Deshalb fiel es mir am Anfang schwer, dem Unterricht zu folgen, denn in jedem Fach war alles auf Englisch, auch die Lehrbücher. Gott sei Dank hatte ich äußerst freundliche und hilfsbereite Lehrer, die den Inhalt für mich in Nepali übersetzt haben. Mittlerweile kann ich gut Englisch und es gibt im Unterricht keine Sprachbarriere mehr.

Anfangs habe ich mich in Kathmandu fremd gefühlt. Die hohen Gebäude, die geteerten Straßen, die lauten Fahrzeuge und die vielen Leute, der ganze Verkehr – das hat mich nervös gemacht. Ich war zuerst auch einsam, hatte Heimweh und Sehnsucht nach meiner Familie. Aber mein Traum, etwas Großes in meinem Leben zu erreichen und ein selbstbestimmter Mensch zu werden, der auch anderen helfen kann, ging mir nicht aus dem Kopf und ist nur stärker geworden. Nun fühle ich mich sehr wohl hier und habe mich vollkommen an die neue Umgebung gewöhnt.

In meinem Leben läuft es jetzt einfach gut. Es gefällt mir im Hostel und in der Schule, meine Freunde und die Lehrer sind mir ans Herz gewachsen. Gelegentlich telefoniere ich mit meinen Eltern, die auch sehr glücklich und erleichtert sind.

In diesem Sommer habe ich die Abschlussprüfung zur Mittleren Reife bestanden! Noch vor wenigen Jahren hätte ich nie geglaubt, dass sich mir diese Möglichkeit jemals bieten würde. Ich bin stolz darauf und dankbar dafür.“

Oktober 2023: „Im Herbst reisten mein nepalesisches Team und ich mit einigen unserer Schützlinge, darunter auch Dinesh, ins Hochgebirge nach Mugu. Das für Familien wichtigste Festival des Jahres stand an (Dashain) und wir ermöglichen den Kindern in dieser Zeit einen Besuch bei ihren Eltern in ihren Heimatdörfern. Sie bleiben dann für einen Monat bei ihren Familien, damit sie sich nicht entfremden und beide Welten, ihre Heimat in den Bergen sowie das wesentlich modernere Kathmandu, balancieren können. Dinesh hat mich sehr beeindruckt, er ist ein herzensguter, freundlicher und fröhlicher Teenager. Wenn er lacht, strahlt er. Wir hatten gute Gespräche und viel Spaß zusammen. Sehr berührt hat er mich, als er mir anvertraute, dass er am liebsten Lehrer werden würde – und zwar in Mugu, weil es dort an gut ausgebildeten Lehrkräften mangelt. Selbstverständlich wird Back to Life ihn dabei unterstützen, so dass er nach dem Abitur Lehramt und Pädagogik studieren kann. Gerne werden wir Ihnen weiter von Dinesh berichten.“

Stella Deetjen

Back to Life e.V.