Killer in the Kitchen
Madhav P. Bhatta, Professor für Epidemiologie und globale Gesundheit an der Kent State University in den USA, ist in einem ländlichen Bergdorf im Distrikt Baitadi im äußersten Westen Nepals geboren und aufgewachsen. Madhav Bhatta erhielt von der University of Pennsylvania seinen Master of Public Health (Epidemiologie und Globale Gesundheit) und erlangte seinen Doktorgrad in Epidemiologie an der University of Alabama in Birmingham, USA.
Warum das offene Feuer nicht ins Haus gehört
Wenn unsere Nachbarn ihr Holzfeuer im Garten anzünden, um die kühlen Herbstabende in Ohio mit einem Schluck Wein und in guter Gesellschaft zu genießen, ziehe ich mich bei geschlossenen Fenstern ins Haus zurück, um den Hustenanfall zu vermeiden, den ich unweigerlich bekommen würde. Laden Sie uns ein herüberzukommen, lehne ich höflich ab, um ihre friedliche Gesellschaft nicht durch meinen unaufhörlichen Husten zu stören.
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass mein Körper den Holzrauch nicht einmal im Freien verträgt, obwohl ich den größten Teil meiner Kindheit in einer schlecht belüfteten, winzigen 2-Zimmer-Hütte aus Steinen und Lehm in den Bergen Westnepals verbracht habe. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mein Körper gerade wegen der ständigen Belastung in der Kindheit eine Abwehrreaktion gegen Holzrauch entwickelt hat und jetzt gewissermaßen überreagiert. Glücklicherweise habe ich heute den Luxus, dem Rauch einfach entgehen zu können wenn ich keine Lust auf Hustenanfälle habe. Und die Entscheidung bleibt für mich auch noch völlig ohne Folgen (wenn man einmal davon absieht, dass ich ein Glas Wein in netter Gesellschaft auf der Veranda verpasse). Ich werde weder hungern noch frieren, ich werde überleben. In den Vereinigten Staaten kochen wir unser Essen und heizen unsere Häuser mit Gas oder Strom, und wir beleuchten unser Zuhause mit Elektrizität – zwei ‚saubere‘ Energiequellen, die zumindest bei mangelnder Belüftung keine dichten Rauchschwaden hinterlassen.
80 Prozent der Landbevölkerung heizt mit Holz und anderen Festbrennstoffen
In meiner Kindheit in Nepal hatten wir diesen Luxus nicht. Wir kamen nicht umhin, Feuerholz zu nutzen, hatten keinen Zugang zu sauberen Energiequellen. Leider gibt es auch heute noch viele Menschen, insbesondere in ländlichen Gebieten, die von der Verbrennung von Holz, getrockneten Kuhfladen oder Getreideresten abhängig sind, um ihre Mahlzeiten zu kochen und sich in den kalten Winternächten warm zu halten. Tatsächlich sind über 80 Prozent der Haushalte im ländlichen Nepal noch auf diese Festbrennstoffe angewiesen.
Offene Feuer oder traditionelle Drei-Steine-Herde verbrennen die Brennstoffe nur ineffizient und erzeugen starken Rauch – ein giftiges Gemisch aus Feinstaub (Ruß) und Chemikalien. Die dauerhafte Belastung mit diesem Rauch, die mitunter bereits im Mutterleib beginnt, hat unzählige lebenslange gesundheitliche Folgen, bis hin zum Tod. Aus diesem Grund wird das offene Holzfeuer in der Küche auch als „Killer in the Kitchen“ bezeichnet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr schätzungsweise 3,8 Millionen Menschen an Krankheiten wie Lungenentzündung, Schlaganfall, Herzinfarkt, chronischem Lungenleiden und Lungenkrebs, weil sie dieser Art von Rauch ausgesetzt sind. In Nepal werden schätzungsweise 113 Todesfälle pro 100.000 Einwohner oder etwa 33.000 Todesfälle pro Jahr auf die Luftverschmutzung in Innenräumen zurückgeführt, was etwa 12 % aller Todesfälle im Land ausmacht.
Frauen und Kinder sind besonders betroffen
Darüber hinaus wird die Luftverschmutzung in Innenräumen mit weiteren gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht, darunter niedriges Geburtsgewicht, Tuberkulose, Grauer Star sowie Nasen- und Rachenkrebs. Frauen und Kinder sind dabei überproportional betroffen, da sie die meiste Zeit im Haus verbringen und die Frauen in der Regel für das Kochen zuständig sind. Nach Schätzungen der WHO ist beispielsweise fast die Hälfte der Todesfälle durch Lungenentzündung bei Kindern unter 5 Jahren auf eingeatmeten Ruß (oder feine Kohlenstoffpartikel) zurückzuführen.
Die Verwendung von Festbrennstoffen zum Kochen hat zusätzliche gesundheitliche und soziale Auswirkungen, die über die Belastung durch den giftigen Rauch hinausgehen. Auch hier sind Frauen und Kinder am stärksten betroffen. Das Sammeln und Transportieren von Brennholz ist in erster Linie ihre Aufgabe und erhöht das Risiko von Verletzungen und Muskel-Skelett-Schäden durch die schwere Last des Tragens, Stürze oder Angriffe wilder Tiere. Und sie verbringen einen erheblichen Teil ihrer Zeit mit diesen Tätigkeiten, die sie stattdessen mit wirtschaftlich produktiveren oder schulischen Aktivitäten verbringen könnten. Dennoch hat das Sammeln von Feuerholz natürlich Priorität, da das Kochen von Essen überlebenswichtig ist. In unwegsamen Gegenden wie Mugu in den Bergen Nepals ist diese Aufgabe noch schwieriger, risikoreicher und zeitaufwändiger. Da praktisch jeder Haushalt vom Feuerholz abhängig ist, sind in Orten wie Mugu, Nuwakot oder Chitwan auch alle Familien physisch, sozial und wirtschaftlich von den negativen Folgen betroffen.
Eines von vielen Problemen
Wie so viele der Herausforderungen in Nepal, scheint es zunächst fast aussichtlos, das große Problem der Luftverschmutzung in Innenräumen anzugehen – insbesondere angesichts der Vielzahl weiterer Probleme im ländlichen Raum, wie dem fehlenden Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanitären Anlagen, Mangelernährung, der hohen Krankheits- und Sterblichkeitsrate bei Müttern und Kindern inmitten von Armut.
Die optimale Lösung für das Problem wäre, ‚saubere Energiequellen‘ wie Elektrizität, Erdgas oder Flüssiggas zu nutzen. Wir wissen, dass wir davon in Nepal noch weit entfernt sind. Doch es ist entscheidend, dass wir dieses Problem angehen, denn es ist ein Schlüssel, um weitere Herausforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu überwinden. So kann etwa das Phänomen der Kindstode infolge von Lungenentzündungen durch die Abschaffung des offenen Feuers in den Häusern der Menschen stark reduziert werden.
Lokales Handeln mit globalen Folgen
Abgesehen von den Auswirkungen auf den Einzelnen und die Haushalte hat die Verwendung von Festbrennstoffen zum Kochen in offenen Feuern natürlich auch schwerwiegende regionale und globale Auswirkungen, da bei der ineffizienten Verbrennung in diesen Geräten starke klimawirksame Schadstoffe wie Kohlenstoffpartikel und Methan freigesetzt werden. Wir können jedoch nicht ernsthaft von einer Familie in Mugu erwarten, dass sie aus Sorge um den Klimawandel und das Überleben des Planeten ihre Gewohnheiten ändert, wenn sie weder Mittel noch Know-how für eine sauberere und sicherere Alternative hat und ihr eigenes Überleben von der Verwendung von Holz zum Kochen und Heizen abhängt. Es ist unrealistisch zu glauben, dass ländliche Gemeinden wie Mugu in absehbarer Zeit auf Energiequellen wie Flüssiggas oder Strom umsteigen können. Gleichzeitig können wir nicht zulassen, dass sie weiterhin unter den Auswirkungen einer vermeidbaren Gefahr für ihre Gesundheit leiden.
Rauchfreie Öfen – eine einfache Lösung
Wie so oft, gibt es auch für die Rauchverschmutzung in Innenräumen eine einfache und elegante Lösung in Form des rauchfreien Ofens, der erhebliche Fortschritte bei der Bewältigung des Problems bewirkt. Rauchfreie Öfen verbrennen feste Biomasse viel effizienter und verursachen wesentlich weniger Rauch. Durch eine zusätzliche externe Entlüftung können diese verbesserten Kochherde die Luftverschmutzung in Innenräumen erheblich reduzieren. Die Öfen können außerdem unter Verwendung lokaler Materialien von einheimischen Handwerkern hergestellt werden. Es ist die Aufgabe einer Organisation wie Back to Life e.V. als Katalysator zu wirken, um den auf lokaler Ebene erforderlichen Wandel herbeizuführen und das Problem anzugehen. Neben der Bereitstellung neuer Methoden und Technik, ist dabei insbesondere der Bildungsaspekt hervorzuheben. Es ist nötig, auch die tief verwurzelten Wahrnehmungen und Verhaltensweisen zu ändern.
Kürzlich sprach ich per Video mit meinem ältesten Bruder, der nach wie vor in den Bergen in Westnepal lebt. Da bemerkte ich den dichten Rauch, der von der offenen Kochstelle her ins Bild strömte. Ich wusste, dass es in unserem Dorf mittlerweile Flüssiggas in Flaschen zu kaufen gibt, die man zum Kochen nutzen kann. Aus Neugier fragte ich ihn, warum sie nach wie vor den traditionellen Herd nutzten. Er sagte mir, dass er in den kalten Wintermonaten die traditionelle Kochstelle vorzog, weil sie die Familie zusätzlich wärmte. Vielleicht hätte ich ihm vorschlagen sollen, einen rauchfreien Ofen von Back to Life zu nutzen, da dieser bei Betrieb auch Wärme speichert, die dann langsam und über Stunden abgegeben wird. So könnten insbesondere die Nächte wärmer werden.