Auf Wiedersehen, Mugu – das neue Leben von Khushi
Kinderlachen schallt durch den kleinen Raum. Amma erhitzt gerade am offenen Feuer einen großen Topf, randvoll mit Öl gefüllt. Ihre jüngste Tochter Khushi, noch ein Kleinkind von eineinhalb Jahren, das erst vor Kurzem das Laufen erlernt hat, tobt mit ihren Geschwistern ausgelassen um die Mutter herum. Die Flammen der offenen Feuerstelle in der Mitte des Raumes werfen nur ein schwaches Licht an die verrußten Wände. Das Haus besteht einzig aus diesem Raum, hier kocht die Familie, isst, sitzt beisammen und schläft des Nachts. Amma siebt das grobgemahlene Mehl. Endlich siedet das Öl. Die Mutter knetet den Teig. Sie arbeitet schnell, jeder Handgriff sitzt. Sie hört das Jauchzen und Lachen ihrer Kinder, die hinter ihr lautstarkes Fangen spielen, merkt aber nicht, dass sie dem Feuer zu nahe kommen. Im Bruchteil einer Sekunde geschieht das Unglück: Khushi erhält einen unbeabsichtigten Stoß und kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Sie stürzt ungebremst gegen das nur unzureichend gesicherte Gefäß über den Flammen und bringt es zum Kippen. Amma muss hilflos mit ansehen, wie sich siedendes Öl im Schwall über ihr kleines Mädchen ergießt. Khushi schreit unter furchtbaren Schmerzen und verliert schließlich das Bewusstsein. Von der Unterlippe abwärts verbrennt ihr gesamter Oberkörper, sowie Arm, Hals und Schulter. Ein lebendiger Albtraum.
Es gibt zu dieser Zeit keinerlei ärztliche Hilfe in der Nähe. Amma ist verzweifelt, sie kann ihrer kleinen Tochter nicht helfen. Sie behandelt den verbrannten Körper mit selbstgemachten Kräuterverbänden, mehr hat sie nicht. Es dauert viele Monate, bis Khushi sich ein wenig erholt.
Kurz darauf schlägt das Schicksal erneut zu: Khushis Vater fällt tot um. Amma steht mit 4 Kindern mittellos und alleine da. Das Leben hat sie schwer gezeichnet: Mit 40 Jahren wirkt sie wie eine 60-jährige Frau. Sie ist müde, verbraucht, desillusioniert. Es gibt keinerlei Perspektive oder Hoffnung für die Familie.
Das Kleinkind Khushi wächst zu einem kleinen Mädchen heran und hat wulstige Narben auf ihrem Körper, die so unvorteilhaft verwachsen, dass sie bei vielen Bewegungen behindern. Sie kann weder den rechten Arm heben noch ihren Mund schließen – ihre Unterlippe ist mit dem verbrannten Hals verwachsen. Ihre Aussprache ist daher nicht deutlich.
DIE MUTIGE BITTE EINER VERZWEIFELTEN MUTTER | Als wir 2010 die sechsjährige Khushi in ihrer hoffnungslosen Situation vorfanden, beschwor mich ihre Mutter, das Mädchen für eine medizinische Behandlung nach Kathmandu mitzunehmen. Sie sagte, dass ihre Tochter ohne Unterstützung niemals eine Chance im rauen Alltag von Mugu haben würde. Aufgrund ihrer Verbrennungen und Verwachsungen könnte sie nicht richtig hart arbeiten und kein Mann in der gesamten Bergregion würde Khushi je zur Frau nehmen. Das Flehen von Amma berührte mich sehr. Wir beschlossen daraufhin, das Mädchen in einem auf Verbrennungen spezialisierten Krankenhaus in Kathmandu behandeln zu lassen. Amma arbeitete zu dieser Zeit wechselnd als Lastenträgerin, im Hausbau sowie als Feldarbeiterin.
Bevor die Reise losging, schlossen wir unter den Augen der Dorfgemeinschaft einen Vertrag mit Amma, der sie über die Risiken einer Operation aufklärte und besagte, dass Back to Life für alle Kosten während der Behandlung in Kathmandu aufkäme. Als Amma dies begriff, fielen ihr große Steine vom Herzen. Da sie weder lesen noch schreiben konnte, las der Bürgermeister des Dorfes ihr alles vor. Anschließend setzte sie als Signatur ihren Fingerabdruck unter das Dokument.“
FLUG IN EIN NEUES LEBEN – ZWISCHEN ANGST UND HOFFNUNG | Amma wird uns nach Kathmandu begleiten. In Nepal muss stets ein Angehöriger im Krankenhaus anwesend sein, um dem Patienten z.B. die Mahlzeiten zu reichen, ihn zu waschen oder zur Toilette zu begleiten, denn das wird nicht von den Krankenschwestern erledigt.
Amma ist mulmig zumute, als sie mit Khushi und ihrer jüngsten Tocher Chutki, die sie nicht in Mugu zurücklassen will, am Talcha Airport auf das kleine Flugzeug zugeht. Noch nie im Leben ist sie geflogen. Zusammen mit dem restlichen Team steigen wir in das Flugzeug, eine klapprige alte Propellermaschine, die in Europa längst außer Dienst gestellt wäre. 2010 ist die Start- und Landebahn der in den Berg geschlagenen Flugpiste noch nicht asphaltiert und so muss der Flieger auf einer staubigen Schotterpiste abheben. Ein Glücksspiel, bei dem viel schiefgehen kann. Endlich in der Luft, traut Amma kaum ihren Augen, als sie den Blick aus dem Fenster wagt: Sie realisiert, dass sie gerade in nur wenigen Minuten über Gebirgspassagen dahingleitet, für die sie in ihrem bisherigen Leben tagelange Fußmärsche einplanen musste. Khushi hat Angst vor dem Fliegen und hält meine Hand fest umklammert.
EINE NEUE WELT ERÖFFNET SICH | In Kathmandu angekommen, staunt das Mädchen über die vielen fremden und überwältigenden Eindrücke der Hauptstadt, den Straßenverkehr, die Geschäfte, die vielen Menschen und den Lärm. So viel Bewegung, leuchtende Farben überall, die verschiedensten Gerüche. Khushi weiß gar nicht, wo sie zuerst hinschauen soll. Stella entscheidet sich gegen ein Hotelzimmer für Khushis Familie und nimmt sie stattdessen lieber mit zu sich nach Hause. Lichtschalter, Wasserhähne, eine Dusche und die westlichen Toiletten sind der Familie völlig unbekannt.
ENDLICH VERSIERTE CHIRURGISCHE HILFE | Das circa eine Dreiviertelstunde außerhalb von Kathmandu, im Grünen gelegene Krankenhaus wurde von der deutschen „Interplast“ gegründet und bietet exzellente medizinische Hilfe. Dort soll Khushi einer ärztlichen Untersuchung unterzogen werden, fünf Jahre nach dem tragischen Unfall. Nachdem Dr. Shakya das Mädchen eingehend untersucht hat, gibt uns der Chirurg eine Prognose und sagt, sie müsse sich erst einmal auf drei größere Operationen mit Hauttransplantationen einstellen und 2-3 Monate im Krankenhaus bleiben. Dies seien nur die ersten von vielen Eingriffen, die über die Jahre nötig würden, um dem Mädchen ein weitgehend normales Leben zu ermöglichen. Während der ersten Operation warten Amma und Stella angespannt, bis Khushi endlich aus der Narkose erwacht. Beim ersten Verbandswechsel wird bereits sichtbar, welche hervorragende Arbeit der Chirurg geleistet hat: Die schlimmsten Verwachsungen an Hals und Kinn konnten gelöst werden, Khushi kann ihren Mund wieder schließen. Sie betrachtet sich staunend im Spiegel. Trotz Verband sieht man ihr Lächeln. Im Verlauf der nächsten Tage wird ihre Stimme kräftiger, lauter, selbstbewusster. Sie kann nun deutlich sprechen, das Mädchen blüht auf.
Ich schenkte ihr einen Teddybär, den sie von da ab nicht mehr loslässt. Den Hals mit einer Krause bedeckt, steht sie bald nach der Operation für die Mahlzeiten wieder auf und spielt mit den anderen Kindern im Garten des Krankenhauses. Natürlich besuche ich sie so oft ich kann, denn die Tage im Krankenhaus sind lang. Neben Früchten, Saft und Keksen bringe ich auch Malfarben sowie Bastel- und Brettspiele mit ans Krankenbett. So verbringen wir Stunden spielend und die einst schüchterne Khushi öffnet sich mehr und mehr.
Schnell avanciert Khushi auch zum Liebling der Ärzte und Krankenschwestern, weil sie klaglos die schmerzhaften Verbandswechsel erduldet und bei der Physiotherapie motiviert mitarbeitet. Sie ist so froh und glücklich, endlich Hilfe zu bekommen. Auch Amma kann man ansehen, dass sich ihre erdrückenden Sorgen aufgelöst haben, sie sieht plötzlich 10 Jahre jünger aus und hat stets ein Lächeln im Gesicht.
GELUNGENE WIEDERHERSTELLUNGSCHIRURGIE | Auch die beiden nächsten Eingriffe an den Schultern, einer Achsel und den Armen verlaufen komplikationslos. Dr. Shakya ist sehr zufrieden mit den Resultaten und kann Khushi nach 11 Wochen aus dem Krankenhaus entlassen. Zwei Monate später soll sie zur Nachuntersuchung erscheinen, währenddessen ihre physiotherapeutischen Übungen weitermachen und die operierten Stellen bedecken und eincremen. Freudestrahlend verlässt die kleine Familie das Krankenhaus. Ich habe für die folgenden Tage mehrere Arztbesuche geplant, Amma soll zur Untersuchung zum Frauenarzt und die ganze Familie zum Zahnarzt gehen. Natürlich bleibt noch genügend Zeit, Khushi Kathmandu zu zeigen. Wir entdecken gemeinsam die verwinkelten Gassen der Altstadt, fahren Fahrradrikscha, besuchen den Innenhof der Kumari, bestaunen die Pagoden des Durbar Squares, umrunden Stupas, stöbern in den lokalen Märkten und fahren Rolltreppe in einer Shopping-Mall.
DIE SCHICKSALSFRAGE | Da nimmt mich auf einmal Khushis Mutter für ein wichtiges Gespräch beiseite. Sie erklärte mir, dass Khushi unbedingt in Kathmandu bleiben soll, für weitere Operationen und für eine gute Schulausbildung. Wenn sie zwischen Mugu und Kathmandu pendeln müsste, bliebe ihre Schulausbildung auf der Strecke. Ich war anfangs dagegen. Sie ist nun einmal ein Mädchen der Berge. Ich wollte sie nicht entwurzeln oder riskieren, sie ihrer Familie zu entfremden. Es brach mir fast das Herz, mir vorzustellen, wie Amma sich fühlen musste: Das eigene Kind aus purer Not wegzugeben, damit es überhaupt die Chance einer Ausbildung erhalten kann. Doch als auch Khushi von sich aus vollem Enthusiasmus und mit Nachdruck darum bat, in Kathmandu bleiben und hier zur Schule gehen zu dürfen, willigte ich schließlich ein. Dabei ahnte ich bereits, dass dieses Mädchen eine starke innere Kraft hat und bereit ist, ihren eigenen Weg zu gehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
DAS BERGMÄDCHEN LERNT DAS GROßSTADTLEBEN | Als ich mit Khushi das Kinderheim und die Schule besuche, die ihr neues Zuhause werden soll, ist sie sofort begeistert. Vom Schuldirektor und seiner Familie willkommen geheißen, geht sie auf Entdeckungstour, staunt über die buntgestrichenen Zimmer für die Mädchen, die Schränke und Bücherregale und die vielen geräumigen Klassenräume der Schule. Hier wird sie bald in Englisch unterrichtet werden. Draußen gibt es einen Spielplatz und einen Garten. Alles ist kindgerecht und liebevoll eingerichtet, der Speisesaal sieht aus wie eine riesige, gemütliche Wohnküche. Khushi freut sich besonders über einen Mitbewohner: Blacky, den Schäferhund des Direktors. Er wird sogleich ihr bester Freund. Sie lebt sich im Handumdrehen in ihrer neuen Umgebung ein und findet sofort Anschluss.
BESTENS AUFGEHOBEN UND VOLLER CHANCEN | Auch in den Jahren 2011 bis 2014 unterzieht sich Khushi immer wieder neuen Operationen, um das wulstige Narbengewebe entfernen zu lassen. Es ist schon zur Routine geworden, schmerzhaft bleibt es trotzdem. Wir fliegen immer wieder Amma zu den OPs ein, damit ihre Tochter die bestmögliche Pflege im Krankenhaus erhält. Die Mutter ist überwältigt von der Unterbringung ihrer Tochter – erst im Kinderheim, dann in der liebevollen Pflegefamilie, die Khushi wie eine Tochter aufnimmt. Dort lebt sie heute noch und fühlt sich zuhause. Es bleibt Amma bei ihren Besuchen auch nicht verborgen, wie rasant sich ihre Tochter entwickelt, wie sie aufblüht und wissbegierig alle ihr zur Verfügung stehenden Bildungsmöglichkeiten nutzt. Neues Wissen saugt sie auf wie ein Schwamm. Neugierig auf Khushis Alltag besucht Amma sogar eine Schulstunde und lässt sich sämtliche Hefte und Schulunterlagen zeigen. Sie ist stolz auf ihre Tochter und ihre Dankbarkeit Back to Life gegenüber kann sie kaum in Worte fassen. Mit Tränen in den Augen sagt sie: „Ihr habt Khushi ein neues Leben geschenkt!“ Mit ihrer Mutter und den Geschwistern hält Khushi über das Telefon Kontakt. Heimweh habe sie eigentlich nicht, sagt sie. Kathmandu ist nun ihr Zuhause.
KHUSHIS FAMILIE IN MUGU IST NICHT VERGESSEN | Bei einem Projektbesuch 2012 finden wir Amma schwer erkrankt in ihrem Haus in Mugu vor. Ihr Zustand ist kritisch, sie ist mit hohem Fieber dem Tode nah. Wir bringen sie umgehend in eine Klinik. Die Strapazen zollen ihren Tribut: Täglich bis zu 15 Stunden Knochenarbeit unter fortlaufender Mangelernährung – eine Kombination, die schon tausenden in Mugu zum tödlichen Verhängnis wurde. Doch Amma gesundet und Khushi ist sehr erleichtert.
REISEZIEL ABITUR | Die folgenden Schuljahre absolviert Khushi sehr erfolgreich. In ihren Hauptfächern Englisch und Mathematik, aber auch in den Nebenfächern Sozialkunde, Naturwissenschaften und IT schreibt sie Bestnoten. Ihre fließenden Englischkenntnisse sind sehr beeindruckend.
Damit sie jedoch ihre Wurzeln nicht vergisst, reist Khushi einmal im Jahr in die Berge nach Mugu und verbringt ihre Schulferien dort mit ihrer Familie. Als Khushi das erste Mal in ihr Heimatdorf in den Bergen zurückkehrte, staunten die Dorfbewohner über ihr schönes Gesicht und ihr neugewonnenes Lächeln. So etwas haben sie bisher noch nicht gesehen, noch nie ist einem Verbrennungsopfer aus ihrer Gegend eine solche Hilfe zuteilgeworden.
Die Nachbarn und Kinder wollen ganz genau wissen, wie das Leben in Kathmandu ist. Khushi kommt aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus. Das gesamte Dorf ist stolz auf das kleine Mädchen, das sich so tapfer gegen das Schicksal stemmt.
Mittlerweile ist Khushi mit ihren 17 Jahren kein kleines Mädchen mehr. In Kathmandu ist sie zu einer modernen und selbstbewussten Teenagerin herangewachsen, die nicht nur modebewusst ist, sondern auch viel liest und fließend Englisch spricht. In Mugu staunen sie bei ihren Besuchen nicht schlecht: „‚Wie kann sie nur Hosen tragen? Mädchen tragen keine Hosen!‘. Aber ich trage eben nur noch Hosen,“ erzählt Khushi. Ihre Freunde aus dem Dorf befürchten ein wenig, dass sie im Vergleich zum aufregenden Stadtleben und den modernen Leuten in Kathmandu für sie nicht mehr so interessant sein könnten. „Aber ich beruhige sie dann und versichere ihnen, dass sie mir genauso wichtig sind.“
Khushi hat 2021 die 10. Klasse abgeschlossen und erfolgreich die mittlere Reife abgelegt. Auch das Abitur hat sie im Jahr 2023 erfolgreich bestanden. Und danach möchte sie sogar studieren.
KHUSHI IST GLÜCKLICH | Neben der Schule verbringt Khushi Zeit mit ihren Freundinnen, sie tanzt gerne und spielt Gitarre. Am liebsten trifft sie sich jedoch zum Picknick mit ihren Freunden oder geht zu den Treffen der Pfadfinder und genießt die Ausflüge mit anderen Jugendlichen in die Natur Nepals. Wie gerne würde sie ihren Pfadfinderfreunden einmal Mugu zeigen! Leider sind diese Aktivitäten während der wiederkehrenden Lockdowns zurzeit nur selten möglich. Khushi ist eine Vorzeigeschülerin, die für eine ganz neue, gebildete Generation Nepals steht. Sie ist auf einem sehr guten Weg und bei bester Gesundheit – auch wenn es immer wieder erforderlich sein wird, die vernarbten Stellen ihres Körpers zu behandeln und zu operieren.
Übersetzt bedeutet ihr Name übrigens „glücklich“. Nach einem harten Start ins Leben mit furchtbaren Erfahrungen, Schmerzen und Entbehrungen kann man jetzt behaupten, dass dies ein wahrhaft treffend gewählter Name ist. Denn glücklich, das ist Khushi heute.
KHUSHI IN DER CORONA-PANDEMIE | Den ersten Lockdown während der Corona-Pandemie von März bis Juli 2020 verbrachte Khushi bei ihrer Familie in Mugu. Für sie war es ganz selbstverständlich, ihr Wissen über die Krankheit weiterzugeben: „Für die Kinder meiner Familie und die Nachbarskinder habe ich einen Workshop organisiert und sie über Corona aufgeklärt. Es ist wichtig, dass man Wissen weitergibt. Ich habe durch Back to Life das große Glück, eine gute Schulausbildung in Kathmandu zu bekommen. Ich hatte keine Angst vor Corona in meinem Dorf. Das Back to Life-Geburtshaus unterstützt die Dorfbewohner, gesund durch die Corona-Krise zu gehen. Außerdem hat Back to Life den Familien geholfen, die sonst Hunger gelitten hätten.“ Khushi findet: „Insgesamt sind wir alle recht gut durch den Lockdown gekommen!“Am meisten vermisst hat sie damals ihre Schule, aber vom Back to Life Büro in Mugu aus, konnte sie damals auch am online Unterricht teilnehmen und mit ihren Schulfreundinnen in Kontakt bleiben.
Früher nutzte Khushi das Internet und die sozialen Medien mit Bedacht, öffnete den Laptop ihrer Pflegefamilie nur einmal in der Woche. Doch während der Pandemie wurde der Computer zum ständigen Wegbegleiter. Mittlerweile hat Khushi einen eigenen Laptop, der von Back to Life finanziert wurde. Sie erzählt begeistert: „Oft erstelle ich Präsentationen für die Schule, das mache ich sehr gerne. Ich lese zwar noch immer gerne Bücher, doch für meine Schulfächer hole ich mir die Informationen aus dem Internet. Dabei gilt es zu unterscheiden, welche Informationen wirklich wertvoll sind und welche nicht. Besonders während der Corona-Pandemie hilft mir der Laptop, so kann ich den Online-Unterricht wahrnehmen und weiterlernen, auch wenn die Schule immer wieder geschlossen ist. Und manchmal schaue ich mir auch Filme an und höre Musik über YouTube. Sehr gerne drehen meine Freundinnen und ich Tik Tok Videos mit dem Handy…“
SCHWESTER CHUTKI KOMMT NACH KATHMANDU | Mit ihrer kleinen Schwester Chutki braucht Khushi jetzt nicht mehr zu telefonieren, denn sie ist im letzten Jahr zu ihr nach Kathmandu gezogen. Das war für sie das glücklichste Ereignis in 2021. „Ich bin meiner geliebten Pflegefamilie in Kathmandu so dankbar, dass sie Chutki mit aufnehmen. Ebenso danke ich Back to Life, dass ihr das möglich gemacht habt. Damit ist meine größte Sorge beruhigt.“ Khushis ältere Schwester hatte als Teenager geheiratet und es war ihr nicht gelungen dies zu verhindern. „Weder mein älterer Bruder noch meine Mutter und Schwester hörten auf meine Argumente. Ich war damals sehr wütend und habe über ein Jahr kaum mit meiner Familie gesprochen.“ Noch heute hört man den Schmerz in Khushis Stimme, wenn sie davon berichtet.
Doch Chutki ist nun in Kathmandu, sie ist eingeschult und kommt langsam in der neuen Welt an. Für Khushi ist es ein Stück weit, wie sich selbst in der Vergangenheit zu beobachten, als sie noch voller Erstaunen war über das Leben und die Vielfalt in der Großstadt. Mit ihrer Schwester teilt sie ihr Zimmer und all ihre Sachen. Vor allem freut sie sich auch darüber, dass nun jemand da ist, mit dem sie ihre Wurzeln teilt und die beide Welten kennt: Mugu und Kathmandu.
WAS DIE ZUKUNFT BRINGT | Wie alle Teenager hat Khushi viele Träume. Eigentlich wollte sie vor allem gerne ferne Länder bereisen und den Mount Everest besteigen. Früher wollte sie Tierärztin, Physiotherapeutin oder Mode-Designerin werden. Jetzt könnte sie sich auch vorstellen, Projekte wie die von Back to Life in Mugu zu leiten. Sie ist überzeugt davon, dass Bildung der Schlüssel für eine bessere Zukunft ist. „Zuerst sollten alle möglichst gut in Schulen unterrichtet werden, dann werden auch die Kinderehen aufhören. Doch die Regierung legt keinen Fokus auf Mugu. Dabei ist Bildung so wichtig, es sollte die höchste Priorität haben!
„Nach all den Jahren sehe ich, wie viel die Arbeit von Back to Life in den abgelegenen Berggebieten bewirkt. Die Menschen in meiner Heimat gewinnen Hoffnung und Perspektive, die Frauen werden gestärkt. Ihr Leben wird eindeutig besser, sicherer, gesünder und umweltfreundlicher. Gerne möchte ich etwas studieren, das mich befähigt, später eine gute Projektleiterin zu werden.“
Stella tauschte sich zuletzt per Video-Anruf im Herbst 2021 mit Khushi aus, als diese gerade ihre mittlere Reife, die sogenannte SEE (Secondary Education Examination) bestanden hatte. Die Worte der jungen Khushi stecken trotz ihres jungen Alters voller Weisheit und sie verrät uns ihr Geheimnis, glücklich und motiviert zu bleiben.
Stella: Meine liebe Khushi, herzliche Glückwünsche zur Mittleren Reife! Du bist so weit gekommen, das ist großartig. Mittlerweile lebst du seit 11 Jahren in Kathmandu, bist mit deinen 16 Jahren ein selbstbewusster Teenager. Erinnerst du dich noch an deine ersten Schultage im Hochgebirge in Mugu?
Khushi: Oh ja, ich erinnere mich genau. Ich hatte Angst, überhaupt aus dem Haus zu gehen. Davor, dass sich die anderen Kinder vor mir fürchten könnten, wenn sie meine Narben sehen. Ich habe überhaupt keine guten Erinnerungen an meinen Schulbeginn und ich ging auch nicht regelmäßig dorthin.
Stella: Als du dann in Kathmandu operiert und danach eingeschult wurdest, machtest du auf mich einen sehr erwartungsfrohen Eindruck. Du hast dich schnell und erfolgreich integriert.
Khushi: Es war aber nicht einfach für mich, ich hatte so viel nachzuholen, angefangen von den Zahlen und dem Alphabet. Ich habe hart gearbeitet und so schnell es ging, Englisch gelernt. In der Schule habe ich sofort gute Freunde gefunden, die mir sehr geholfen haben. Heute sind meine Lieblingsfächer Science, Englisch und Geschichte. Mathe mag ich nicht so gerne. Zuhause hilft mir mein Pflegevater beim Lernen und früher auch meine Pflegeschwester, die jetzt aus dem Haus ist und studiert. Mein Pflegevater ist selbst Lehrer, so habe ich besonders profitiert.
Stella: Eigentlich bist du ein Kind der Berge. Doch nun lebst du schon länger in Kathmandu als in Mugu. Was ist denn noch Mugali an dir und inwiefern würdest du dich als Großstadtkind bezeichnen?
Khushi: Oh, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ganz tief in mir fühle ich mich schon noch als Bergkind. Ich spreche auch viel lieber und besser Mugali als Nepali. Doch am leichtesten fällt mir mittlerweile Englisch. Das ist zu meiner Hauptsprache geworden. Ich denke auch in Englisch. In Kathmandu wachse ich zu einer modernen Frau auf. Das gefällt mir, ich kann sogar Hosen tragen als Mädchen. Ich mag die Berge und die Natur lieber als die Großstadt, doch Kathmandu bietet mir wesentlich mehr Chancen, aus meinem Leben etwas zu machen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Stella: Was vermisst du aus Mugu?
Khushi: Mit meinen Schwestern gekochte Kartoffeln mit Chili während der Feldarbeit zu essen. Und mit ihnen zu streiten, wer die größere Ladung Holz oder Wasser nach Hause tragen muss.
Stella: Wie leicht oder schwer ist es dir gefallen, dich an Kathmandu zu gewöhnen?
Khushi: Durch die Unterstützung meiner Schulfreunde und meiner Pflegefamilie konnte ich mich an das andere Leben in der Großstadt und vor allem das viel schnellere Tempo gewöhnen. Ich kann mich an alles anpassen, bin flexibel und Veränderungen machen mir keine Angst, sie machen mich eher neugierig.
Stella: Wie motivierst du dich?
Khushi: Ich finde Motivation in mir selbst. Ich vergleiche mein Heute mit meinem Gestern und bin sofort glücklich und motiviert, wenn ich mir vor Augen halte, was ich schon alles erreicht habe.
„Projektluft“ hat sie bereits im Herbst 2023 ausgiebig geschnuppert. Erst begleitete sie Stella zur Eröffnung der Kardiologie nach Surkhet. Danach waren sie über eine Woche gemeinsam in den Bergen von Mugu unterwegs, um verschiedene Projekte wie das Trinkwassersystem in Gamtha, den Schulbau in Lamru und die Installation von Solar und rauchfreien Öfen zu sichten.
Obwohl Khushi selbstverständlich unsere Projekte seit über 12 Jahren kennt, gewann sie einen neuen Blick darauf, wie die einzelnen Projekte und Programme miteinander zusammenhängen, welche Wirkung sie entfalten, wie man sie nachhaltig plant, bis hin zu welche Logistik und Organisation dafür notwendig sind.
Klar ist: Khushi wird ihren Weg gehen. Zielstrebig, wie immer.