Mugu – Unser erstes Projektgebiet in Nepal
Back to Life arbeitet bereits seit 2009 im Distrikt Mugu. Die abgelegene Bergregion war unser erstes Projektgebiet in Nepal. Damals war Mugu noch abgeschnitten von der Zivilisation, es gab keine Straße, die in diesen Teil Nepals führte, keinen Strom und kein fließendes Wasser. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Dies wurde besonders deutlich daran, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei nur 44 Jahren lag – mehr als 20 Jahre unter dem Landesdurchschnitt.
Mugu ist ein Distrikt oder Bezirk in der Provinz Karnali, welche die am wenigsten entwickelte Region Nepals ist. Karnali liegt am Rande des Himalayas und grenzt an Tibet. Heute leben 65.000 Menschen in der 3.500 km² großen Hochgebirgsregion. 1500 Einwohner zählt die einzige Stadt Mugus, die Hauptstadt Gamgadhi. Der Rest der Bergregion besteht aus Dörfern und kleinen Siedlungen. Vor wenigen Jahren wurde eine Zugangsstraße nach Mugu gebaut und auch die Randgebiete sind mittlerweile auf abenteuerlichen, unbefestigten Straßen über die Bergpässe erreichbar. Wenn es regnet oder schneit werden sie jedoch schnell unpassierbar. Für die meisten Menschen ist es somit immer noch an der Tagesordnung, lange Strecken zu Fuß durch die Berge zurückzulegen.
Der Karnali Fluss gibt der Provinz ihren Namen. Er fließt als breiter Strom durch die Region und ermöglicht das Überleben in dieser unbarmherzigen Umgebung. Ein weiteres großes Gewässer, prägt Mugu: der Rarasee. Er ist der größte See Nepals und liegt auf 2990m Höhe. Die Regierung hat zum Schutz der Natur einen Nationalpark eingerichtet, Touristen gelangen aber fast nie in dieses Gebiet. Es ist schlichtweg zu schlecht zu erreichen. In den Wäldern leben Schwarzbären, Moschustiere, Leoparden, der seltene Rote Panda und mehr als 200 Vogelarten, nachts hört man die Schakale heulen und tags erblicken Sie Adler am Himmel. Leider sind die Wälder um die Dörfer herum jedoch weitestgehend abgeholzt, da die Bewohner mit Holz kochen und heizen. Oft kommt es daher zu gefährlichen Erdrutschen an den steilen Berghängen. In der Trockenzeit wirkt Mugu schroff und karg, doch nach der Regenzeit sind die Berge mit sattem Grün überzogen.
Gesundheit
Die medizinische Versorgung der Bergregion ist mehr als unzureichend. Die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen sind damals wie heute schlecht ausgestattet, qualifiziertes Personal ist knapp und häufig abwesend und oft fehlt sogar das fließende Wasser, um grundsätzliche Hygiene sicherzustellen. Ein einziges Krankenhaus mit 45 Betten ist für die gesamte Bevölkerung Mugus zuständig – für mehr als 65.000 Menschen. Doch momentan lässt sich für dieses leider kein Facharzt gewinnen, sodass nur vier junge Assistenzärzte anwesend sind. Für die meisten Kranken ist das Krankenhaus im Notfall unerreichbar. Um hier weitere Gebiete abzudecken, arbeitet die Regierung im ganzen Land mit sogenannten Primary Health Care Centern und Health Posts, wobei viele Menschen auch zu diesen mehrere Stunden zu Fuß unterwegs sind. Die Health Center sind idealerweise mit einem Arzt besetzt und es gibt davon ein weiteres in Mugu, in Ratapani. In den Health Posts sind meist nur Krankenschwestern angestellt. Mugu hat 24 Health Posts. Nach wie vor suchen viele Menschen auch Hilfe bei den traditionellen Heilern.
Auch um die Mutter-Kind-Gesundheit in ist es noch immer viel zu schlecht bestellt. Zu Beginn unserer Projektarbeit gab es kaum professionelle Geburtshilfe – fast alle Frauen gebaren ihre Kinder allein, ganz ohne Unterstützung geschweige denn medizinische, institutionelle Betreuung. Daher gehörte die Mütter-und Neugeborenen-Sterblichkeit in der nahezu isolierten Bergregion zu den höchsten weltweit und ist auch heute immer noch weit entfernt von den Entwicklungszielen des Landes. Die Mehrheit dieser Todesfälle wäre leicht vermeidbar. Laut der Weltgesundheitsorganisation können qualifizierte Geburtshilfe und schnelles Reagieren von ausgebildeten Hebammen bei Komplikationen Todesfälle von Neugeborenen und Stillgeburten um 50% bzw. 45% reduzieren und auch viele der Mütter vor den Risiken einer Geburt bewahren. Hier lesen Sie mehr über unsere Geburtshäuser, die genau diese Probleme angehen.
Die hygienischen Bedingungen sind in den Bergdörfern oft nach wie vor unzureichend. Zu Beginn unserer Projektarbeit besaßen die meisten Familien keine adäquaten Toiletten und erleichterten sich im Freien. Dies hat sich mittlerweile gebessert und die Mehrheit der Haushalte benutzt eine einfache Trockentoilette. Doch noch immer führt mangelnde Hygiene zu häufigen Krankheits- und sogar Todesfällen, die durch verunreinigtes Essen oder Trinkwasser hervorgerufen werden. Bei einer von uns durchgeführten Befragung gab jeder fünfte Haushalt an, dass ein Familienmitglied innerhalb der letzten zwei Wochen gesundheitliche Probleme aufgrund von Durchfallerkrankungen hatte. Die unzureichende Wasserversorgung und mangelnde Hygienepraktiken wie gründliches Händewaschen mit Seife sind dafür Schlüsselfaktoren. In den Haushalten gibt es kein fließendes Wasser aus der Leitung, sodass jeder Liter erst mühsam von der nächsten öffentlichen Wasserstelle oder einer natürlichen Quelle herbeigetragen werden muss – oft sind die von der Regierung oder NGOs angelegten Wassersysteme sehr alt und beschädigt. Die erschlossenen Wasserquellen reichen meist nicht aus, um den Mindestbedarf der Dorfbevölkerung zu decken. Hier werden die gravitationsbasierten Wassersysteme, die Back to Life mit den Dorfgemeinschaften baut, große Abhilfe schaffen.
Bildung
Traditionell müssen Kinder genau wie der Rest der Familie hart arbeiten, um zum Überleben beizutragen. Das bedeutet täglich: Vieh hüten, auf Feldern arbeiten, Wasser und Feuer-Holz schleppen. Aufgrund ihrer extremen Armut können viele Familien nicht auf die Arbeitskraft ihrer Kinder verzichten – daher brechen die meisten Kinder die Schule frühzeitig ab. Die Anschaffung von Schulmaterialien und Schuluniformen oder auch Schuhen bleibt für die meisten Familien eine finanzielle Herausforderung und trägt nach wie vor dazu bei, dass der Schulbesuch auf wenige Jahre beschränkt bleibt.
Die schulische Infrastruktur ist sehr veraltet und marode. Überall sieht man kleine, dunkle Steingebäude mit beschädigten Dächern und staubige Klassenräume oft ohne jegliche Einrichtungsgegenstände. Dies ist besonders im Hinblick auf die geografische Lage Nepals und die häufigen Erdbeben äußerst gefährlich für die Kinder und Lehrkräfte. Ein kindgerechtes, zum Lernen einladendes Umfeld ist hier weit gefehlt. Den heutigen Baustandards entsprechend müssen Schulgebäude erdbebenresistent gebaut werden, um die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten. Insgesamt 49% Analphabetentum unter Erwachsenen und ein niedriger Bildungsstand sind die Folge von Armut und Strukturschwäche.
Lesen Sie hier alles über Back to Lifes Beitrag für Schulen und Bildung in Nepal.
Wie leben die Menschen in Mugu?
Die Häuser der Familien sind aus Lehm, Stein und Holz gebaut. Es sind kleine, meist zweistöckige Bauten, die in der Regel aus einem Raum für die Familie und einem Stall für die Tiere bestehen. Isoliert werden die Häuser mit einer Mischung aus Kuhdung und Schlamm. Dies schützt vor den kalten Temperaturen. Im Durchschnitt leben 6 Familienmitglieder unter einem Dach. Zu Beginn unserer Projektarbeit gab es in jedem Haus eine offene Feuerstelle, die als Licht- und Wärmequelle sowie zum Kochen diente. Dafür mussten die Frauen und Kinder jeden Tag Holz sammeln und nach Hause tragen. Das offene Feuer sorgte für hohe Mengen an Ruß und Rauch in den Wohnräumen. Es belastet die Gesundheit der Menschen erheblich und stellt eine ständige Gefahrenquelle dar. Möbel gibt es traditionell kaum. Die Familien sitzen, arbeiten, kochen und schlafen auf der Erde.
Dank Rauchfreier Öfen und Solarzellen, einige unserer ersten Projekte mit den Dorfgemeinschaften vor Ort, hat sich die Situation für viele Familien bereits verbessert.
Fast alle Menschen in der Hochgebirgsregion sind auf die Landwirtschaft angewiesen. Die meisten Haushalte besitzen ein kleines Stück Land, das häufig nicht größer als 1 Hektar ist, auf dem sie vorwiegend Weizen, Reis, Mais, Hirse oder Gemüse anbauen. Allerdings reichen die Erzeugnisse selten aus, um die Familie das gesamte Jahr über zu ernähren. 15% der Menschen in unseren Projektdörfern gaben bei einer unserer Befragungen an, dass es innerhalb der vorangegangenen vier Wochen Zeiten gab, in denen für ihre Familien nicht genug zu Essen zur Verfügung stand. Andere Untersuchungen ergaben, dass ca. 2/3 der Haushalte von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Viele der Kleinbauern müssen deshalb zusätzlich als Tagelöhner arbeiten, um von dem kleinen Lohn Nahrungsmittel vom Markt hinzukaufen zu können. Und dennoch: Der Durchschnittsverdienst in Mugu beträgt gerade einmal knapp 600 Rupien am Tag, umgerechnet etwa 4,50 Euro. Zu wenig, um davon eine ganze Familie gut ernähren zu können – besonders wenn dieses Einkommen nie planbar und sicher zur Verfügung steht.
Chhaupadi
Gemäß des „Chhaupadi“-Rituals gelten Mädchen und Frauen während ihrer Menstruation als unrein und dürfen sich deshalb nicht im Haus der Familie aufhalten. Sie müssen die Tage im Viehstall oder gar im Wald verbringen. Während der Kindsgeburt gilt das gleiche. Währenddessen sind die Mädchen und Frauen allein, sind Wind und Wetter ausgesetzt und haben keine Koch- oder Waschmöglichkeit – von Hygiene und Komfort ganz abgesehen. Auch passieren Übergriffe, Vergewaltigungen, die Frauen werden von Schlangen gebissen, erfrieren oder begehen in ihrer Verzweiflung Selbstmord.
Seit 2017 steht die Chhaupadi-Tradition in ganz Nepal offiziell unter Strafe. Der Hausvorstand kann dafür mit bis zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt werden. Doch gerade in den westlichen Bergregionen Nepals, wo auch der Bezirk Mugu liegt, wird diese unmenschliche Tradition nach wie vor praktiziert. Hier geben 93% der Frauen in unserer Projektregion an, bereits im Chhaupadi gewesen zu sein, 43 % sogar innerhalb der letzten 12 Monate.
Es ist oft ein Generationenproblem, die Alten vermitteln die Tradition den Jungen. Es gilt also, eine wirkungsvolle Aufklärung und kulturell angepasste, alternative Lösungen für alle Altersgruppen zu finden. Mit den Geburtshäusern ist dies Back to Life sehr erfolgreich gelungen.
Anreise nach Mugu
Die Anreise nach Mugu District von Kathmandu aus erfolgt über zwei Flüge, die mit alten Twin-Otter-Maschinen geflogen werden. Sie landen auf ländlichen Flugpisten, die in die Bergkuppe geschlagen wurden. In Mugu angekommen heißt es dann laufen, laufen, laufen bis man unsere Projektdörfer erreicht. Meist sind mehrere Tagesetappen erforderlich – auch bei Schnee und Regen. Deshalb bedeutet es jedes Mal für unser Team eine große logistische wie auch persönliche Kraftanstrengung, die abgelegenen Dörfer zu besuchen und Materialien für die Projekte dorthin zu bringen. Wenn wir Hilfsgüter oder Baumaterial transportieren, kommen geländefähige LKW, Esel oder auch Lastenträger zum Einsatz. Diese Projektregion ist im wahrsten Sinne des Wortes „kein Spaziergang“.